Die Gedächtniskirche in Stuttgart ist ein akustisches Kleinod. Denn der Klang ist in diesem Raum außerordentlich gut: Glasklar und dennoch nicht matt, nie "verwaschen" und niemals "verhallt"; hier bietet ein mittelgroßer, konzertanter Raum akustisch hervorragende Resultate.
Mein erstes Konzert in dieser Kirche war deshalb eine kleine Offenbarung: Tags zuvor hatten wir noch im Straßburger Münster gesungen. Dort verlor sich Gesang und Orchester im Raum, wo der Schall erst nach gefühlter Ewigkeit mehrerer Sekunden reflektiert wurde und sich so fast durchgehend der Sound mehrerer Sekunden überlagerte - klangtechnisch ein absolutes Kontrastprogramm...
Ich spekulierte damals, dass der junge Kantor Helmuth Rilling womöglich deshalb gerade diese Kirche für den Start seiner sukzessive verwirklichten, großen musikalischen Pläne gewählt haben könnte. Auf der Suche nach Informationen zur alten wie neuen Kirche gibt es hierauf durchaus Hinweise:
Die Kirche war ursprünglich 1896-1899 erbaut worden (als Stiftung des Chemikers Julius von Jobst) und im 2. Weltkrieg 1943 bei einem Luftangriff weitgehend zerstört worden (Fotos hierzu). Bis 1957 wurde sie in neuem Gewand wieder aufgebaut, nur der alte, beschädigte Turm blieb zum Gedenken stehen und wurde neu ummantelt (die Spitze sieht man heute noch herausragen), der Platz des alten Kirchenschiffs wurde angehoben und zum Vorplatz der neuen Kirche, das neue Schiff vom Turm aus nicht mehr nach Westen, sondern neu nach Norden ausgerichtet.

Der Bau startete 1954 mit einem Architektenwettbewerb, die tatsächlichen Bauarbeiten im Frühjahr 1956, Die Details des Innenausbaus wurden allerdings erst Mitte 1957 festgelegt. Helmuth Rilling, der zum 1. September 1957, gerade 24-jährig, zum neuen Kantor bestellt wurde - und noch in diesem Jahr den Figuralchor an der Gedächtniskirche Stuttgart ins Leben rief, war indessen schon zuvor maßgeblich beteiligt. Er konzipierte beispielsweise die Orgel (auf der Extra-Empore, mit Ausrichtung und Registrierung).
Es gibt aber noch weitere, unauffälligere Details:
Prof. Norbert Bongartz, zuletzt Oberkonservator, also Denkmalpfleger im Landesdenkmalamt und später im Regierunspräsidium, berichtet in seiner Beschreibung über den Neubau etwa, dass die "Rückwand" bewusst als Backsteinfassade belassen und nicht verputzt wurde, und zwar nicht wegen architektonischer Ästhetik, sondern, um den Schall aus dem nördlichen Kirchenschiff (mit dem Altarraum) weniger stark zurückzuwerfen.
Womöglich ist auch der (nur) leicht gebrochene, asymetrische Bau der Akustik förderlich.
Hier entstanden jedenfalls über die Jahre zahlreiche Tonträger- und Rundfunkaufnahmen, beginnend mit Orgeleinspielungen durch Helmuth Rilling selbst und sukzessive über 15 Jahre hinweg auch eines Großteils der Bach-Kantaten.
Es lohnt sich allein von daher, die Gedächtniskirche musikalisch zu besuchen.
Und vielleicht macht auch dieser detaillierte Kirchenführer über die Gedächtniskirche Stuttgart von Andreas Keller oder der kleine Vortrag von Prof. Norbert Bongartz zum Festgottestdienst anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Wiederaufbaus der Kirche "Was mir an der Gedächtniskirche gefällt" Appetit auf einen Besuch?